21 Visionen für Micani

21 Visionen für Micani

„Manchmal denke ich mir: Wäre es nicht schön, wenn die Leute aus Chile auf der Suche nach Arbeit hierher kämen, um auf meiner Hacienda und in meinem Stall zu arbeiten. Warum sind es immer wir, die [auf der Suche nach Arbeit] wegziehen müssen? Wie schön wäre es, wenn eines Tages ein Argentinier hierher kommen würde…oder ein Deutscher.“ Als Bladimir Oporto Miranda mit diesen Worten seine Rede beendet und leicht überschwänglich gestikulierend die Chilenen zum Kommen einlädt, müssen die umstehenden Frauen und Männer doch etwas schmunzeln. Für die Bewohner Micanis ist die Vision ihres wortgewandten Nachbarn doch ein bisschen arg fern. Erst wenige Tage zuvor hatten wir von Elsa Sanchez, Direktorin der Fundación Sodis, erfahren, dass es sich bei San Pedro de Buenavista derzeit um die strukturschwächste Region Boliviens handele. Die rund 400 Familien des Distrikts Micani wiederum, seien im Schnitt unter allen acht Distrikten San Pedros die Ärmsten. Das sieht man den Gemeinden an: die Felder wirken kärger als in anderen Gemeinden, man sieht weniger Vieh, die Behausungen liegen sehr verstreut, manche gleichen eher Verschlägen als Hütten – zusammengezimmert aus großen Ästen und Reißig.

Bladimir: Fortschritt beginnt in den Köpfen..

Am Land selbst läge das nicht, meint Bladmir. Das werfe alles ab – Mais, Süßkartoffeln, Erdnüsse, Kürbisse…- und wer hart arbeite, der werde auch satt. Er führt die Armut auf drei Faktoren zurück. Zunächst einmal fehle den Kleinbauern der Zugang zu den weit entfernten Märkten um ihre Produkte und ihr Vieh zu verkaufen. Ein zu großer Anteil der Gewinne bleibe bei den Zwischenhändlern. Dann mangele es an Familienplanung. Zu viele Familien hätten sechs, sieben, gar acht Kinder. Das steigere nur die Armut, da die ohnehin knappen Ackerflächen in immer kleinere Parzellen aufgeteilt werden müssen. Und wie sollen die Familien so vielen Kindern denn eine gute Ausbildung ermöglichen? Damit kommt Bladimir auf sein Lieblingsthema zu sprechen: die Menschen der Region müssen besser ausgebildet sein. Er selbst sei in seiner Jugend noch 5 Tage bis nach Llallagua in die Sekundarschule gelaufen. Das habe sich schon deutlich gebessert, denn inzwischen hat sogar Micani eine eigene Sekundarschule für die Jugendlichen der umliegenden Gemeinden. Damit die jungen Leute in der Region bleiben, müsse die Ausbildung den Menschen allerdings Perspektiven vor Ort schaffen. In seinen Worten: „Wir brauchen Landwirte statt Landarbeitern!“

Unsere Ausbildungsreihe führen wir mit unserem Partner der Fundación Sodis und der Lokalregierung von San Pedro de Buenavista durch. Unser gemeinsames Ziel ist es den Männern und Frauen aus fast allen Gemeinden des Distrikts die Kompetenzen und technischen Fertigkeiten mitzugeben, die sie dazu befähigen die Lebensbedingungen in ihren Gemeinden zu verbessern. Der Workshop findet vorwiegend auf Quechua statt, der lokalen Sprache.  Insbesondere bei komplizierteren Sachverhalten wird diese von den Menschen viel besser verstanden als das importierte Spanisch. Eine aktive Trainerrolle bleibt Laura und mir daher vorenthalten. Das gibt uns allerdings viel Gelegenheit uns gezielt mit den einzelnen Teilnehmenden zu unterhalten. Uns interessiert vor allem eines: Was bewegt diese 21 Frauen und Männer ihre tägliche Arbeit auf den eigenen Feldern ruhen zu lassen, um sich zur „Lokalexpertin“ bzw. zum „Lokalexperten“ ihrer Gemeinde ausbilden zu lassen? Was wollen sie mit ihrer Gemeinde erreichen?

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José: Schornsteine über ganz Pallacachi..

Nicht alle holen soweit aus wie Bladimir. José, ein junger Vater von zwei Kindern, ist als Vertreter seines Dorfes Pallacachi angereist. Seine Gemeinde sei eher weit vom Schulungsort Micani entfernt. Der Fußmarsch habe drei Stunden gedauert. Für ihn steht die Verbesserung der Gesundheit in seiner Gemeinde im Vordergrund seiner Arbeit als Lokalexperte. Er wünscht sich, dass die Menschen „seltener in die Stadt reisen müssen um sich heilen zu lassen.“ Als erstes will er daher die rauchfreien Kochstellen in Pallacachi implementieren, deren Bau er im Rahmen des ersten Ausbildungsmoduls gelernt hat. Einige Familien haben schon gemeinsam mit Schülern des Instituto Tecnológico Sayarinapaj im Jahr 2016 derartige Kochstellen gebaut. Nun möchte er dafür sorgen, dass jede einzelne Familien welche erhält. Dafür müsse die eine oder andere Familie noch vom Nutzen überzeugt werden, aber er ist zuversichtlich: „Schritt für Schritt werde ich da vorankommen […] und am Ende wird die ganze Gemeinde rauchfreie Kochstellen haben.“ Dann dankt er noch dem Unterstützer seiner Gemeinde und freut sich schon auf die weiteren Ausbildungsmodule in den kommenden Monaten.

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Wagner & Adela: Unsere Küche als Leuchtturm für die Region..

Wagner wohnt mit seiner Ehefrau Adela in dem Dorf, das den gleichen Namen trägt wie der ganze Distrikt: Micani. Beide sind bereits Rentner und widmen sich sporadisch der Landwirtschaft – ein paar Felder, ein Kaffeebaum und ein paar Zitronenbäume. Früher habe Wagner in der Großstadt Cochabamba in einer Zahnarztpraxis gearbeitet, doch er bevorzuge das Leben auf dem Land in seiner Heimatgemeinde. Im Rahmen des ersten Ausbildungsmoduls hat eine Gruppe zur Übung eine rauchfreie Kochstelle in Wagners eigenem Hof gebaut, damit die beiden beim Kochen nicht mehr dem Rauch ausgesetzt sind. Adela fällt ihm ins Wort: Kochen tue bislang doch ausschließlich sie. Sie freue sich aber sehr über die neue Kochstelle. Und was Wagners und Adelas Vision für Micani sei? Adela blickt zurück: Vor zehn Jahren habe man noch nicht einmal Toiletten gehabt, inzwischen sei man schon weit gekommen. Die Gemeinde Micani sei bereits auf dem richtigen Weg. Wagner ergänzt: dieser Fortschritt müsse nun vor allem in den umliegenden, kleineren Gemeinden des Distrikts ankommen, zum Beispiel Huaripampa und Alacruz. Hierfür wolle er sich einsetzen.

Benedicto & Leocadio: Unser Traum von einer Gemeinschaftswerkstatt..

Benedicto und Leocadio sind zweifellos die beiden Anführer unter den 21 LokalexpertInnen. Seit einem Jahr arbeitet Benedicto bereits als Lokalexperte und war als Angestellter der Lokalregierung bereits in allen Gemeinden Micanis aktiv. Leocadio ist der Bürgermeister von Micani – ein außerordentlich kompetenter Bürgermeister wie ihm von vielen nachgesagt wird. Gemeinsam mit Benedicto hatte er im Vorfeld des Workshops die umliegenden Gemeinden Micanis besucht um Männer und Frauen zu überzeugen an dem Programm teilzunehmen. Nun nehmen sie beide selbst an dem Workshop teil. Ihre Vision: die Fortbildungen sollen auch über den bisherigen Plan hinaus fortlaufen. Die Fertigung der Kaminrohre und weiterer Metallteile solle künftig vor Ort in Micani stattfinden. Dazu müsse man ihnen nur das Schweißen beibringen und die Werkzeuge zur Verfügung stellen. Auch im Bereich der Elektrik und Schreinerei wolle man sich fortbilden. Und dann ergänzt noch Doña Theresa, eine der wenigen anwesenden Frauen, dass man doch auch Nähen lehren solle. An Träumen und Ideen mangelt es nicht. Wir sind zuversichtlich: Micani weiß sich zu helfen. Es benötigt nur der richtigen Werkzeuge.

 

Verfasser: Christoph Netsch